Ob man seine Zeit in etwas vernünftig investiert hat, wird man vielleicht am Ende ihres/seines Lebens erkennen können. Vielleicht auch nicht. Ich hatte das Glück, viele Dinge intensiv untersuchen zu dürfen, um später wieder in Augenschein zu nehmen, was daraus geworden ist. Manchmal bin ich stolz auf das Ergebnis, manchmal könnte ich es in gutem Deutsch schlecht ausdrücken.
So erging es mir mit einer Technologie, deren Zeit Anfang der 1970er Jahre reif zu sein schien: Elektronische Lernmethoden, seinerzeit „Lernautomaten“ genannt, später CBT = Computer Based Training, heute schlicht e-learning. Mein Interesse stammte noch aus unserer Schulzeit, als wir den Unterricht zuweilen so interessant fanden, als wenn man feuchter Farbe beim Trocknen zuschaut. Auch wenn die Sache uns interessant angeboten wurde, wie z.B. von unserem Mathe-Lehrer Dr. Lotz, lernten wir nicht immer das, was uns angeboten wurde. So weiß ich schon lange nicht mehr, was uns der besagte Dr. Lotz beigebracht hat, aber wie er seine Krawatten zu binden pflegte, praktiziere ich heute noch. Keine zwei Wochen nach seiner ersten Stunde für unsere Klasse, banden wir riesige Knoten, aus denen ein Stummel heraus guckte. Marke Lotz. Da die meisten keine Krawatten besaßen, wurden die Kleiderschränke der Väter geplündert, um entsprechende Kleidungsstücke zu ergattern. So gesittet wie in den ersten Monaten mit Dr. Lotz hat unsere Klasse weder davor noch danach ausgeschaut.
Ein Bisschen zu wenig, wenn eine Investition von 8 Jahren nur eine Erkenntnis über den richtigen Windsor-Knoten bringt. Oder hatten wir mehr gelernt? Neulich, als ich auf der Suche nach Erinnerungsstücken an die Schule unterwegs war, las ich etwas, was mir viele Jahre Arbeit mit „Lernautomaten“ u.ä erspart hätte. Der Autor ist Gerd Früstück, sein Thema „Elektronische Unterrichtshilfen“. Er beschreibt das 1967 eingerichtete Sprachlabor der Schule, wovon wir nur so geträumt hatten. Kein Geld – hieß es immer wieder, die Türkei ist arm, Deutschland vom Krieg noch nicht erholt. Nun war das Ding da, und unser Lehrer schreibt: „ Bezeichnend für die Art unterrichtlichen Bemühens im Sprachlabor ist der hierbei sehr gebräuchliche Ausdruck „Training „. Das Sprachlabor gibt die Möglichkeit, ein intensives Sprechtraining durchzuführen, für das während des Normalunterrichts im Klassenzimmer Zeit und auch Gelegenheit fehlen. Damit sind auch die Grenzen des Sprachlabors abgesteckt.“
Soll heißen: Damit kann man Vokabeln pauken, aber keinen Vollunterricht absolvieren. So nach Früstück, 1968. Und was lernte uns der große Guru der Kybernetik, Helmar Frank in den Jahren? So sein Tenor: Frontalunterricht mit dem Lehrer an der einen Front ist ineffizient, mit Lernmaschinen kann man die Effizienz beinah beliebig steigern. Ziel: 90 % der Schüler lernen 90% des angebotenen Stoffs. Da Frank ein hervorragender Verkäufer war, hat er 1969 den Senat von Berlin von seinen Vorstellungen überzeugt. Und dieser beschloss 1969, dass bis zum Jahre 1975 90% des Unterrichts an Berliner Schulen durch Lernautomaten abgedeckt werden soll. Daher mein Interesse an diesen Maschinen. Etwa 1972 fing ich mit einer Gruppe von Kollegen an, solche Maschinen zu bauen. Der Markt schien riesig. Und im Himmel ist immer Jahrmarkt!
Wie die Kisten in etwa aussehen würden, kann man an den Bildern von Herrn Früstück erkennen, die in dem Jubiläumsbuch 1968 seinen Beitrag illustrieren:
Hier noch ein Bild, das den Frontalunterricht-Gebenden aus anderer Sicht zeigt. Was das Bild nicht verrät, weil es Schwarz-Weiß ist: Aller Zellen sind grau.
Nachfolgend ein Auszug aus den Ausführungen zum Thema. Ich kann die Weisheiten mit nur wenigen sprachlichen Korrekturen an Autoren verschicken, deren Artikel über e-learning für meine Zeitschrift ich häufig ablehne.
„Die Laborarbeit kann keinesfalls den Unterricht in der Klasse ersetzen, sondern nur wirkungsvoll ergänzen. So werden dadurch auch kaum die Mühen des Lernenden erleichtert; für ihn bedeutet die Bewältigung des zugespielten Programms (dem er sich nicht entziehen kann, da seine Reaktion kontrolliert wird) reine Schwerarbeit. Außerdem wird das Programm so lange wiederholt, bis die Aufgaben fehlerfrei im geforderten Tempo gelöst worden sind. Und ebenso für den Lehrer ist die Stunde im Sprachlabor keine Erholung: er hat ständig einen der Schüler zu kontrollieren und zu korrigieren (abgesehen von der für manchen Lehrer nicht so leichten Bedienung der technischen Anlage). Nicht zu vergessen sei das Wichtigste: die Vorbereitung der Übungsstunde, denn für den wirkungsvollen Einsatz einer Sprechlehranlage muß programmiert werden – für die wenigsten unterrichtlichen Situationen stehen Programme entsprechend dem beherrschten grammatischen Stoff und Vokabelschatz zur Verfügung.„
So modern sich e-learning anhört, so antiquiert ist die Vorstellung dahinter – wenn man es als einzige Form der Wissensvermittlung betreibt. Was soll man sonst tun? Hat Herr Früstück anno 1968 geschrieben. Zudem hat er fast sämtliche Hindernisse gegen die Akzeptanz einer solchen Technologie angeführt. Andere mussten diese Erkenntnisse mühsam und verlustreich erwerben, wobei sich verlustreich auf Lebensjahre wie Kapital bezieht. Verlorene Hoffnung und Enttäuschung nicht eingerechnet.
Meine 8 Jahre an der Deutschen Schule Istanbul waren keine verlorenen. Hätte ich das Jubiläumsbuch gleich gelesen, hätte ich etwa fünf Jahre anderweitig eingespart.
Dieser Beitrag erreichte auch den Autor, der sich mittlerweile in Portugal von den Strapazen der Schule erholt.
Hallo Ahmet Bey,
Ich bin überrascht, auf der Website Istanbul Alman Lisesi Mezulari in Ihrem Artikel aufzutauchen. Und natürlich auch erfreut, dass nach so vielen Jahren jemand mir beipflichtet, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wurde.
Ach so, ich muss mich vorstellen:
Mein Name ist Gerd Früstück. Es gibt sogar ein Bild von mir in Ihrem Steckbrief, allerdings heiße ich da 2GA.
Ich war von 1965 bis 1970 am Alman Lisesi. Ich glaube, es war mein schönster Auslandaufenthalt. Danach war ich in Brasilien tätig in Zusammenarbeit mit Schulen, Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten im Bereich Methodik und Didaktik für Deutsch als Fremdsprache. Aber da hatte Sprachlaborarbeit schon den adäquaten Stellenwert.
Nun bin schon in die Jahre gekommen und lebe nach 10 Jahren in Portugal wieder in Deutschland.
Mein jetziger Steckbrief: http://www.gerd-fruestueck.de
Ich habe mich gefreut, ein wenig der guten Erinnerungen an Istanbul wieder auffrischen zu können.
Mit herzlichen Grüßen
Gerd Früstück
Meine Antwort an Herrn Früstück:
Hallo Herr Früstück,
schön wieder von Ihnen zu hören. Mir hatte öfter Bilge Alkım von Ihnen erzählt. Da unsere Schülergeneration 1963 die Schule verlassen hatte, hat niemand bemerkt, dass Sie 2GA heißen. jetzt habe ich die Korrektur durchgeführt. Bitte um Nachsicht.
Hätte ich Ihren Artikel damals schon gelesen, wären mir mehrere Jahre mühselige Arbeit erspart geblieben. Obwohl Didaktik nicht mein Fach war, hatte ich mich den Jüngern von Helmar Frank angeschlossen, die in erster Linie die Technik im Auge hatten. Mich interessierte der Lernerfolg bei den Studenten, der nicht allzu hoch war. Manche lernten schnell, andere langsam oder gar nicht. Das ärgert einen Dozenten, der Techniker ist, weil Technikern Kontrolle über alles geht. So planten wir Lernautomaten, die bis Mitte 1975 fast alle Berliner Lehrer verdrängen sollten. Bis ich gelernt hatte, dass wir auf dem Holzweg waren, vergingen so etwa fünf Jahre. Die Lehrer sind immer noch da, die Technik versucht sich immer wieder. Allerdings nicht mehr durch Techniker, sondern durch echte Pädagogen.
Danke für die außergewöhnliche Gelegenheit, Ihren einzigen Fotoroman zu lesen. Durch die Bilder muss ich mich noch durcharbeiten.
Mit herzlichen Grüßen an Portugal
A.C.