Oya Beygo

Wer wegläuft, kommt wieder

Oya war Tochter eines Lehrers, der in die Geschichte der türkischen Revolution einging.  Allzu glücklich lief für ihn die größte Überraschung seiner beruflichen Laufbahn nicht.  Man stelle vor, man ist Lehrer und bringt den Kindern etwas bei, was man halt so tun muss. Dann klopft es! Die Tür geht auf und der Staatspräsident steht persönlich im Klassenzimmer. Dahinter sein Gefolge einschließlich Sabiha Gökçen, die erste Kampfpilotin der Welt. Wenn es denn irgend ein Staatspräsident wäre! Kemal Atatürk stand vor ihm - böse guckend. Denn Oyas Vater unterrichtete gerade mit arabischen und griechischen Buchstaben, weil es um Geometrie ging. Der Chef hatte aber der Republik die lateinischen Buchstaben verordnet. Vater Ömer zitterte, weil Atatürk die griechischen Buchstaben beanstandete. Die Sache ging gut aus, weil der Schuldige der Kultusminister war. Der hatte die Bücher nicht der Revolution angepasst. Papa Beygo zitterte immer noch, wenn er die Geschichte von sich gab. (mehr zu lesen über dieses Ereignis  hier und da und dort, Originalfoto des Tages unten. Atatürk hat das Geometrie-Buch mit dem neuen Alphabet persönlich geschrieben, obwohl er bereits todkrank war. Er war der einzige Staatspräsident, der ein Schulbuch zur Geometrie geschrieben hat, damit die Begriffe in seiner Sprache benutzt werden.)

Oya war ganz der Vater, nett und tolerant. Über ihn erzählen seine ehemaligen Schüler, wie er reagierte, als diese keine Schülerkarten für eine Kinovorstellung bekamen. Die Schüler standen vor der Tür und protestierten. Beygo hat gesagt, verbaler Protest genüge nicht, mal sehen, ob die Tür aufgeht. Sie ging auf. Da der Papa sehr tolerant war, haben unsere ersten Parties bei Oya im Haus stattgefunden. Wir waren gerade mal 15. Eine Bande lauter 15-jähriger Kinder allein Party feiern lassen, wird heute kein türkischer Vater mehr leisten.

Während wir alle die häusliche Idylle in Cihangir bewunderten, muss sich Oya andere Gedanken gemacht haben. Als wir in der 9. Klasse waren, erschien sie eines Morgens nicht in der Schule. Als sie eine ganze Woche nicht kam, wurden wir neugierig. Sie war einfach verschwunden. Später erfuhr ich, dass sie sich in einen Bus mit Gastarbeitern geschlichen hatte. So war sie nach Aachen gekommen. War wohl in einen aus der Stadt verliebt.

Obwohl ich sie sehr gerne hatte, vergaß ich sie wie alle anderen - fast. Denn unser Klassenkamerad Ahmet Doğan hatte sie in Aachen wieder gesehen. Dort lebten sie in der neu entstehenden Gastarbeiterwelt mit Deutschen, Griechen, Türken, Türken aus Griechenland, Griechen aus der Türkei. Natürlich im Dreiländereck mit Belgiern, Holländern und auch Franzosen.

Eines Tage fragte mich Ahmet, ob ich mich an Oya erinnerte. Obwohl nach ihrer Flucht 25 Jahre vergangen waren, wußte ich sofort, wer gemeint war. Ahmet sagte, dann kommen wir vorbei. Sie braucht unsere Hilfe. Als sie in mein Haus trat, hatte ich das Gefühl, sie wäre am Sonnabend nach Hause gegangen und heute wäre Montag.

Die Hilfe, die sie von uns erhoffte, konnten wir ihr leider nicht geben. Denn Oya wollte von uns eine Übersetzung für ihren Film, der auf der Berlinale aufgeführt würde. Der Film spielte in dem Milieu mit Deutsch oder Türkisch sprechenden Türken oder Deutschen,  Griechisch sprechenden Türken, die sich mit einem Türken in Türkisch unterhalten usw. Wir sagten ihr, die Message des Films läge in dem Tohuwabohu der Sprachen und Kulturen. Wir wüssten nicht, ob wir den Film für Deutsche oder für Türken als Hauptzielgruppe übersetzen sollten.

Für lachten sehr herzlich, amüsierten uns über den Film, der viel von uns darstellte. Oya verabschiedete sich und sagte, wenn ich sie besuchen will, muss ich nicht lange suchen. Sie wohnt in Cihangir auf der anderen Seite des Platzes, an dem sie früher gewohnt hatte.

Oya, Tochter eines Mathe-Lehrers, war nach einer langen Odyssee durch viele Länder, sie erzählte was von China und dem Iran, Filmemacherin geworden an dem Platz, wo sie ihre Kindheit erlebt und zurückgelassen hatte. Die Heimat hatte gerufen und sie war gekommen.

Als wir im Jahr 2013 unsere 50 Jahre Abi-Feier abhielten, sollte ich die Namen vorlesen und die Plaketten verteilen. Auf der Liste stand sie ganz oben. Als ich sie aufrufen wollte, blickte Eren nach oben. Ich verstand. Sie würde nie wieder kommen. Oya war schon 1993 gestorben.

In Sinema steht dies über sie "Yusuf Kurçenli’nin “Ölmez Ağacı” (1984) filminin değerli yapımcısı Oya Beygo da (1944-1993) çok vakitsiz, çok erken ölümüyle Türk filmciliği için çok büyük bir kayıp olmuştu…Oya Hanımı tanıyanların bu seçkin, zarif, kibar ve iyi yetiştirilmiş hanımı sevmemesi, aramaması mümkün değildi /değildir…" Eine feine Lady, die man unmöglich nicht lieben und nicht vermissen kann …